Ein Kind ist geboren, wenn es das erste Mal gedacht wird. Wer einmal den Gedanken daran zugelassen hat, Nachkommen zu zeugen, der kommt nicht wieder dahinter zurück. In der Fantasie ist das Kind dann schon da, selbst wenn real noch gar nichts dafür getan ist.
Wenige Dinge wirken so stark auf das Selbstbild des Menschen wie die Fähigkeit, sich fortzupflanzen. Drei Viertel aller Deutschen unter 50 Jahren wünschen sich Kinder. Obwohl die Geburtenraten hierzulande sinken, obwohl die Familien kleiner werden und Eltern bei der Geburt ihres ersten Kindes immer älter sind, bleibt die Möglichkeit, Nachwuchs zu bekommen, ein elementarer Bestandteil eines jeden. Wichtiger noch, als Kinder zu haben, ist die Sicherheit, welche haben zu können.
Für mehr als sechs Millionen Bürger ist das ein großes Problem.
Sie haben keine Kinder, obwohl sie sich welche wünschen. Und sie leiden darunter. Ungewollte Kinderlosigkeit ist ein Zustand, der nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht. Zwar gilt Zeugungsunfähigkeit heutzutage als ein medizinisch behebbares Problem; in der Gesellschaft aber ist sie ein Tabu.
Widerspruch zwischen Medizin und öffentlichem Diskurs
Dieser Widerspruch ist befremdlich. Über Methoden der künstlichen Befruchtung wird viel und detailreich berichtet. Ungewollte Sterilität ist von der Weltgesundheitsorganisation als Krankheit anerkannt. Über die Modalitäten von Adoptionen wird gerade wieder lebhaft diskutiert. Doch kaum eine Frau mag über den Kreis ihrer engsten Freundinnen hinaus darüber sprechen, wenn sie Hormone nimmt, um ihre Fruchtbarkeit zu stimulieren – Männer noch viel weniger. Wer wie die Autoren dieser Themenwoche nach Menschen sucht, die öffentlich über ihre Erfahrungen mit der künstlichen Befruchtung reden und auch über das Scheitern daran, trifft auf große Zurückhaltung. Diejenigen, die sich entschließen, davon zu erzählen, tun es oft nur anonym.
Drei Gründe lassen sich dafür finden. Sie rühren an den Kern unserer Identität. Alle haben wenig mit dem Kind zu tun, sondern viel mit den potenziellen Eltern.
Eigennutz
Erstens: Fragt man Psychologen, warum Menschen sich Kinder wünschen, lautet ihre Antwort fast immer, es gehe um Selbstverwirklichung. Dahinter treten die althergebrachten Motive zurück: Arterhaltung, wirtschaftliche Absicherung, soziale Konformität.
Was den Kinderwunsch vieler Menschen heutzutage antreibt, ist beispielsweise die Vorstellung, mit dem weitergegebenen Leben ein Ebenbild von sich selbst schaffen zu können und so ein Stück Unsterblichkeit zu erlangen. Manche projizieren Glücks- und Heilserwartungen auf das Kind, die das eigene Leben nicht anzubieten hat. Andere hoffen darauf, bedingungslos geliebt werden. Oft ist es auch die Angst, im Alter einsam zu sein. "Zutiefst persönliche Ursehnsüchte kreuzen sich hier mit einem utopischen Begehren nach einer besseren Welt", schreibt die Autorin Millay Hyatt über ihre eigene Kinderlosigkeit.
Dieser Egoismus ist Paaren, die kein Problem mit dem Kinderkriegen haben, selten bewusst. Sie werden auch nicht danach gefragt. Doch jene, die sich medizinisch um Nachwuchs bemühen, hören schnell: Warum ist Euch das so wichtig? Ehrlich zu antworten hieße Eigennutz zuzugeben. Oder Naivität. Schweigen aber lässt diese Motive nicht verschwinden. Sie sind tief in uns verankert. Argumente helfen da nicht weiter.
Der zweite Grund: Der unerfüllte Kinderwunsch untergräbt ein Bild unseres modernen Lebens, nämlich das des emanzipierten und gleichberechtigten Liebespaares. Von außen wird Kinderlosigkeit oft als Problem eines Paares betrachtet. Er und sie können eben keinen Nachwuchs bekommen. So aber ist es nur in einem kleinen Teil der Fälle. Viel öfter könnte sie schon, wenn er fruchtbar wäre; oder umgekehrt.
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